„UNbekanntes UNbehagen“ erweist sich als Gewinn
„Es war viel Arbeit, aber es hat sich gelohnt“ – lautete die einhellige Meinung über das „Fremdistan“-Abenteuer. „Es war eine tolle Erfahrung, das Projekt zu organisieren“, zogen die Kooperationspartner – das Theresia-Gerhardinger-Berufskolleg Warburg-Rimbeck (TGB) und das Umfeldmanagement der Malteser Betreuung in Borgentreich – Bilanz. Im März hatten sie 51 Spielslots im Escape Room „UNbekanntes UNbehagen“ angeboten, der seine Grenzen für Einreisewillige in die Republik Fremdistan im Foyer der Rimbecker Schule geöffnet hatte. Bei nur zwei nicht gebuchten Spielzeiten ein voller Erfolg. Profitiert haben nicht zuletzt auch die Geflüchteten von dem Projekt.
Seite an Seite hatten nationale und internationale Spielleiter*innen die Spielzeiten betreut – darunter Menschen aus Marokko, Afghanistan, Syrien, der Türkei und dem Aserbaidschan. Die Geflüchteten, die teils in der Borgentreicher Unterkunft untergebracht sind, freuten sich über die Gelegenheit, viel Deutsch zu sprechen und neue nette Menschen aus Deutschland kennenzulernen, mit denen sie sich über ihre Fluchterfahrungen und über das Projekt unterhalten konnten. Natürlich war die Escape-Room-Spielleitung auch eine willkommene Abwechslung zum Alltag in der Unterkunft. Nicht nur als Tapetenwechsel, sondern allen voran genossen sie das Gefühl, etwas zu tun zu haben und dafür viel Wertschätzung zu erfahren und ernst genommen zu werden. Denn im Spielleiterteam waren sie diejenigen mit der Expertise. In ihren Händen lag es, den Spielenden ein Gefühl von Unbehagen zu vermitteln, sie in ihrer Muttersprache unter Druck zu setzen, schmoren zu lassen und zu irritieren.
Das Gefühl des Ausgeliefertseins war greifbar
„Es war sehr lehrreich, weil es so konkret und greifbar war“, sagt Leyla Panahi vom Umfeldmanagement. Die Rückmeldungen der Escape-Room-Spieler*innen bestätigten: Sie erlebten das Ausgeliefertsein als ganz neues Gefühl. Was das Unbehagen bei ihnen ausgelöst hat? Das Stempelgeräusch aus dem Nebenraum und die Yallah-Yallah-Rufe aus dem Off. Auch die Dunkelheit im zweiten Raum machte vielen zu schaffen. Andere empfanden es als besonders unangenehm in die Privatsphäre anderer einzudringen und in ihren Sachen herumzuwühlen.
Der Redebedarf nach dem einstündigen Escape-Room-Abenteuer war – teils je nach Altersstruktur – unterschiedlich. „Die Jüngeren hatten ein geringeres Austauschbedürfnis. Sie wollten mehr über die Escape-Room-Erfahrungen sprechen“, berichtet Martina Mlody vom Umfeldmanagement. Die Älteren hätten viele Fragen gehabt, wie es den Geflüchteten bei ihrer Flucht ergangen ist. Rund ein Viertel der Teilnehmenden habe die Escape-Room-Herausforderung besonders gereizt. Ein Großteil der Spielenden stammte indes aus Mitarbeiterteams, Vereinen und Schulen. Der Landkreis Kassel hatte beispielsweise gleich drei Gruppen nach „Fremdistan“ geschickt, das Kommunale Integrationszentrum aus dem Kreis Höxter war mit zwei Gruppen angetreten, unter anderem mehrere Flüchtlingsinitiativen waren unter den Teilnehmenden und das Hüffert-Gymnasium war mit zwei Schülergruppen in „Fremdistan“ eingereist.
Freud und Leid
Der Besuch der Gymnasiasten hat sogar gleich Früchte getragen. Eine Schulklasse hatte direkt Interesse angemeldet, sich ehrenamtlich in der Unterbringung in Borgentreich zu engagieren. Die Schüler*innen des Gymnasiums waren es auch, die hautnah miterlebten, wie eng Freud und Leid beieinanderliegen. Ihr Spielleiter, mit dem sie intensiv ins Gespräch gekommen waren, wurde in der Nacht drauf nach Kroatien abgeschoben. Unerwartet: Eigentlich war er am nächsten Tag für die Betreuung des Escape Rooms eingeteilt. Das Päckchen mit Kaffee und Schokolade, das die Schüler*innen ihm im Nachgang ihrer Escape-Room-Erfahrung gepackt hatten, blieb zunächst ohne Empfänger. Nachgeschickt haben sie es ihm schließlich nach Kroatien. „Die Schule möchte gerne Kontakt halten, weil sie an seinem Schicksal interessiert sind“, berichtet Martina Mlody. „Der Escape Room hat echte Begegnungen möglich gemacht“, freut sie sich.
„Es war eine tolle Erfahrung, die Menschen in ihrer Rolle als Spielleitung kennenzulernen“, berichtet Lena Stecken, Schulsozialarbeiterin am TGB. „Es war schön zu sehen, wie sie mit Herz dabei waren und für den Escape Room gebrannt und sich entwickelt haben.“ Bereichert hat die gemeinsame Spielbetreuung hinter den Escape-Room-Wänden auch das Team des Umfeldmanagements. „Wir haben die Geflüchteten aus einem anderen Blickwinkel kennengelernt. Der Mensch als Individuum stand im Vordergrund und trat dabei als Flüchtling in den Hintergrund“, beschreibt Martina Mlody, die sich freute, ihren Schützlingen für ihren dreiwöchigen ehrenamtlichen Einsatz eine Malteser-Teilnahmebescheinigung zu überreichen.
Ausgeteilt wurde auch viel Lob. „Es war eine tolle Zusammenarbeit mit dem TGB und ein hilfreicher und warmherziger Support von der Flüchtlingshilfe Bonn“, sagte Leyla Panahi abschließend. „Es hat so viel Spaß gemacht“, ergänzt Martina Mlody.